Summary
The problem of CNS processing of vestibular and optical data in the perception of the vertical was used to develop a methodology of cybernetical systems analysis. The analysis is proposed as a useful new approach in perceptual psychology.
Three Ss continuously adjusted a luminous rod to the phenomenal vertical. The background of the rod was a field of stripes slowly rotating in the frontoparallel plane around S's visual axis. Ss were in different degrees of body tilt when making the adjustments.
Data were interpreted using a block diagram model, which was developed in successive steps. Each premise used in the construction of the model is discussed extensively. Essentially, the model can be described by the following propositions:
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1.
The (approximative) direction constancy of phenomenal space under conditions of head tilt depends on an orthogonal transformation of the phenomenal space coordinates, the direction of the transformation being opposed to that of head tilt (“compensation theorem”).
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2.
Under the conditions of our experiment, the compensatory rotational transformation essentially is controlled by the vestibular and visital systems.
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3.
The vestibular system by itself is capable of controlling the rotational transformation; however, its activity is supported by visual influences, which are superimposed in an additive manner (“superposition hypothesis”).
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4.
These visual influences are a function of the figurai main axes of the optical environment. Therefore, when a steadily rotating field of stripes is used, the visual influences show a periodically oscillating temporal course.
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5.
Besides the visual component, a vestibular one is included in the oscillatory process (“optico-vestibular weight ratio”). The two components combine multiplicatively (“multiplication hypothesis”). The optico-vestibular weight ratio is proportional to the so-called eye-countertorsion.
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6.
The motion of the field of stripes produces a temporal shift rather than a considerable distortion of the results obtained under stationary conditions (“shift hypothesis”).
-
7.
The visual system controls the transformation of the phenomenal space coordinates by a central-nervous feed-back mechanism (“hypothesis of feed-back compensation”).
This model was validated in different ways. Among other things, it approximated a close fit with all important aspects of the data.
Zusammenfassung
Am Problem der zentralnervösen Verarbeitung vestibulärer und optischer Daten bei der Wahrnehmung der Vertikalrichtung wurde eine für wahrnehmungspsychologische Untersuchungen geeignete Methodik kybernetischer Systemanalyse entwickelt.
Drei Versuchspersonen hatten die Aufgabe, bei verschiedenen Körperschräglagen eine Leuchtlinie vor dem Hintergrund eines langsam frontparallel um die Blickachse rotierenden Streifenfeldes fortlaufend anschaulich vertikal einzustellen.
Aus den Versuchsergebnissen wurde in kontrollierten Schritten unter ausführlicher Diskussion aller verwendeten Prämissen ein Modell in Form eines Blockschaltbildes entwickelt. Das Modell läßt sich im wesentlichen durch folgende Hypothesen charakterisieren:
-
1.
Die (approximative) Richtungskonstanz des Wahrnehmungsraumes bei Kopfschräglage beruht auf einer orthogonalen Drehtransformation der phänomenalen Raumkoordinaten gegensinnig zur Kopfneigung („Kompensationstheorem“).
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2.
Die kompensatorische Drehtransformation wird unter unseren Versuchsbedingungen im wesentlichen vom Vestibularapparat und vom Visuellen System kontrolliert.
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3.
Das vestibuläre System ist für sich allein imstande, die Drehtransformation zu steuern; zusätzliche visuelle Einflüsse überlagern sich dieser Aktivität additiv („Superpositionshypothese“).
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4.
Diese visuellen Einflüsse sind eine Funktion der figuralen Hauptachsen des optischen Panoramas; unter unseren Versuchsbedingungen (gleichmäßig rotierendes Streifenfeld) ist ihr zeitlicher Verlauf demnach periodisch oszillierend.
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5.
In die oszillatorische Komponente geht außer dem visuellen jedoch auch noch ein vestibulärer Anteil ein („Optisch-vestibuläre Verhältniszahl“), und zwar multiplikativ („Multiplikationshypothese“). Dieser Anteil ist der sog. Augenrollung proportional.
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6.
Die Drehbewegung des Streifenfeldes verursacht ein „Nachhinken“, aber keine nennenswerte Verzerrung der Versuchsergebnisse, verglichen mit der Versuchsdurchführung im stationären Fall („Verschiebungshypothese“).
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7.
Die visuelle Kontrolle der Transformation der phänomenalen Raumkoordinaten erfolgt auf dem Wege einer zentralnervösen Regelkreisschaltung (Hypothese der „Rückwärtskompensation“).
Dieses Modell wurde auf verschiedenen Wegen validiert; unter anderem erwies es sich als in der Lage, die Versuchsergebnisse in den wesentlichen Anteilen zu reproduzieren.
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Wir danken den Herren Gerhard Göldner und Benedikt Neff, Seewiesen, für die Erstellung der Versuchsapparatur, unseren Versuchspersonen für ihre Teilnahme an den recht strapaziösen Experimenten, der Deutschen Forschungsgemeinschaft für finanzielle Unterstützung und schließlich allen, die unsere Arbeit mit uns diskutiert haben, insbesondere Herrn Dr. Eckart Butenandt, Seewiesen, für Kritik und Anregungen.
Anmerkung der Herausgeber. Der Aufsatz von Bischof u. Scheerer zur optischvestibulären Interaktion bei der Vertikalen-Wahrnehmung übersteigt bei weitem die bei der Psychologischen Forschung üblichen Manuskriptlängen. Wir dachten uns, in diesem Falle eine Ausnahme machen zu dürfen, weil die Arbeit — nicht zuletzt wegen ihrer didaktischen Anlage — in besonderer Weise geeignet erscheint, Psychologen und andere Verhaltenswissenschaftler an einem konkreten Beispiel in die Methodik der Systemanalyse einzuführen. Dieser Aufsatz behandelt in üblicher Weise einen konkreten wissenschaftlichen Gegenstand und statuiert auch zugleich an Hand dieses Gegenstandes ein methodisches Exempel. Diese Doppelfunktion führte uns zur Annahme des Manuskripts trotz seiner extremen Länge.
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Bischof, N., Scheerer, E. Systemanalyse der optisch-vestibulären Interaktion bei der Wahrnehmung der Vertikalen. Psychol. Forsch. 34, 99–181 (1970). https://doi.org/10.1007/BF00424543
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